Fremde Finger, fremde Haut,
Fremdes, das mir anvertraut.


Der Mond stand starr und still,
Die Stadt war kalt und leis,
Der Doktor, ganz in Weiß,
 sein erstes Opfer nimmt.

Einen Mann er haben will,
Keinen Jungen, keinen Greis,
Die Haare nicht neu, die Haare nicht weiß,
Zunächst nur leis das Messer klingt.

Keinen Namen hatte er, obgleich er ward getauft.
Kein Beruf vermochte er, ward auch nie gebraucht,
Und war er doch gelehrt,
War er doch nichts wert.

Gesperrt in einen Kellerschacht,
Wo niemand hört sein Geschrei.
Gesperrt in ewig während Nacht,
Nach siebzehn Schnitten wars vorbei.

Die Stimm war weg, die Augen blind,
Und doch er hörte Stimmen.
Ob Mann und Frau und Greis und Kind,
Oh wie die Schreie klingen.

Am ersten Tag, da war er noch
Alleine in dem Schacht.
Am zweiten Tag, da war auch schon,
Der Nächste dort erwacht.

Am Tag danach, da warn es zwei,
Dann drei, dann vier, dann mehr und weiter,
Verschwunden, gebunden und eins, zwei, drei,
War das Geschrei auch schon vorbei.
Man fand sie nicht. Ob arm, ob reicher.
Immer weiter, immer heiter.

Der Mann, der ohne Namen war,
Der hörte all ihr Schrein und Flehn,
Und konnte er sie auch nicht sehn,
Die Angst, die in den Fratzen war,
Die Zungen geschwollen, die Augen verrannt,
Das Bitten um Gnade verklungen, verhallt.

Doch was sie auch riefen, was sie auch boten,
Der Doktor stur fortfuhr, wie ein Pianist,
Spielte er Tasten zu flehenden Noten,
Ohne Ausblick auf Hoffnung oder gar einen Twist.

 Mit offenen Augen vor offenem Fleisch,
Gerötete Wangen, die Haut selbst ganz bleich,
Blickte der Doktor hinab auf sein Schaffen,
Leckte die Lippen, begierig am Gaffen.
Trat er dann zur Tat,
Zu etwas, was nur er vermag.

Er nahm des einen Mannes Arm,
Die Finger eines Zweiten.
Er nahm der einen Frau die Hand,
Und einer Vierten Beine.

Mit grober Säg ganz ohn Erbarm,
Nahm er die Teile blank,
Mit feinem Faden, eng verdreht,
Verband er dann die Gleichen.
Sein Opfer schrie, mit einer Stimm,
Die niemals war die seine.

So schuf der irre Gott sogleich,
Ein Wesen aus den Fremden.
So schuf der irre Gott sogleich,
Ein Leben, das sollt enden.

Nur eines, das vermocht er nicht,
In all der grausam Fertigkeit.
Denn neues Leben gab er nicht,
Nur nehmen, in der Dunkelheit.

Er, der keinen Namen hat, obgleich er ward getauft.
Er, der kein Beruf vermocht, der ward auch nie gebraucht,
Er, der war gelehrt,
Er, der war nichts wert.

Er schrie, als er erblickte Licht,
Als Schmerzen, Angst und Panik sich,
Vergrub in seinem Kopf.

Er, der voller Fremde war,
Von Fuß bis an den Schopf.
Der fühlte sein fremdes Gesicht und zwar
Mit Fingern, die wem anders warn.

Mit fremden Augen sah er sie,
Die Beine, die nie seine warn.
Mit fremder Zunge schrie er klar,
Aus einem Mund, der ihm war nie.

»Monster, Monster«, waren die Worte,
»Monster, Monster«, rief seine Stimm,
»Monster, Monster«, das Monster der Pforte,
»Monster, Monster«, war er so schlimm?

Ruhig und gelassen gar,
Legt der Doktor nieder,
Das Messer, das sein Pinsel war,
Und schloss die Türe wieder.

Einsam weinte das Geschöpf,
Und starrte in den Spiegel.
Einsam weinte das Geschöpf,
Und schrie frustriert zum Himmel.

Die Augen zu, 
Der Fremden.
Doch keine Ruh
Sie schenkten.

Die Augen zu,
Der Fremden.
Doch keine Ruh
Sie schenkten.

Ein Tier erwacht,
Ganz in ihm drin.
Ein Tier aus so viel Seelen.

Die Kette kracht,
Die heulend Stimm,
Geboren um zu quälen.

Und dann mit Geschrei,
brach er alles entzwei.
Zerschlug die Wand
Mit bloßer Hand.
Entkam dem Schacht
Hinaus zur Nacht.

Der ganze Welt nun vor ihm stand,
Mit Feuer und Fackeln in der Hand.

»Monster, Monster«, hallt es durch Gassen,
»Monster, Monster«, rief jedes Kind,
»Monster, Monster«, grölten die Massen,
»Monster, Monster«, schrie jeder Sinn.

Doch das Monster war der Doktor gar,
Der keineswegs zu fassen war,
Der kalt und starr sein Werk bloß tat,
Zu kalt für Hohn, zu kalt für Gnad. 

»Habt Gnade, habt Mitleid, so helft mir doch schon!«,
Dröhnte die Stimme, die nun des Wesens war.
»Habt Gnade, habt Mitleid, so helft mir doch schon!«,
Doch was sie hatten, war nicht einmal Hohn.

»Monster, Monster«, hallt es durch Gassen,
»Monster, Monster«, rief jedes Kind,
»Monster, Monster«, grölten die Massen,
»Monster, Monster«, schrie jeder Sinn.

»Hast getötet, hast genommen«
Rief der Erste unbeklommen.
»Hast gemordet, hast gestohlen!«,
Riefen alle unverholen,
»Hast das Leben nicht verdient!«
Zog die Meute in den Krieg.

»Das bin all nicht ich gewesen!«,
rief verzweifelt nun das Wesen,
»Keiner der meinen noch einer in mir!
Es war der Doktor, der Starre, der Kalte,
Der in dem Kittel, der Irre, der Alte.
Glaubet mir, oh glaubet mir!«

Doch die Meute enger rückt,
Fehlt ihr bloß ein letztes Stück.

»Monster, Monster«, hallt es durch Gassen,
»Monster, Monster«, rief jedes Kind,
»Monster, Monster«, grölten die Massen,
»Monster, Monster«, schrie jeder Sinn.
»Es gibt keinen Doktor, keinen Starren und Kalten,
Es gibt keinen Doktor, keinen Irren und Alten.
Es gibt keinen Kittel und auch keinen Mann,
Der des Nachts Leut rauben kann.
Es gibt nur eines, ein Monster, gewiss,
Eines, das Jagd macht, auf Menschen, wie mich.
Eines, das nichts ist und doch alles will.
Eines, das raubt und stielt und gar still.
Eines, das sein will, was es nicht sein kann.
Eines, das raubt, jede Frau, jeden Mann.«

Dann kamen sie und Namen sich,
Was man ihn einst genommen.
Sie griffen ihm in sein Gesicht,
Mit Fackeln, Feuer, Kohlen.

Kalt und starr der Doktor ihm war.
Kalt und starr die Speere nun gar,
durchbohren sein Fleisch, seine Haut, sein Gesicht,
Zerschnitten doch alles, was ihm ´hörte nicht,

Und kaltes, starres Eisen durchschnitt sein Fleisch,
Das blutig und bleich,
Ihm gab einen Beruf und gar Namen,
Von fremden Herren und Damen.
Und einen Wert.
Scharf wie ein Schwert.

»Monster, Monster«, hallt es durch Gassen,
»Monster, Monster«, rief jedes Kind,
»Monster, Monster«, grölten die Massen,
»Monster, Monster«, schrie jeder Sinn.

»Es gibt keinen Doktor, keinen Starren und Kalten,
Es gibt keinen Doktor, keinen Irren und Alten.
Es gibt keinen Kittel und auch keinen Mann,
Der des Nachts Leut rauben kann.
Es gibt nur eines, ein Monster, gewiss,
Eines, das Jagd macht, auf Menschen, wie mich.
Eines, das nichts ist und doch alles will.
Eines, das raubt und stielt und gar still.
Eines, das sein will, was es nicht sein kann.
Eines, das raubt, jede Frau, jeden Mann.«

Und viele trauernd Hände dann,
zerstückelten den Flickenmann.
Und nahmen ihm sein neues Selbst,
So kostbar auf der ganzen Welt.
Sie nahmen ihm gar Arm und Bein,
Die alle Namen hatten,
Sie sollten nicht die seinen sein.
Den er gehört dem Schatten.

»Monster, Monster«, verhallten die Stimmen,
»Monster, Monster«, verhallte das Singen,
»Monster, Monster«, ohn' Nadel und Garn,
»Monster, Monster«, nahm man sich Kopf, nahm man sich Arm.

© Copyright 2025 Simon Wolf. Alle Rechte vorbehalten.

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